Newsletter 1 / 2019

In unseren Newslettern hatten wir schon mehrfach über Untersuchungen aus dem Labor von Prof. Martin Kerschensteiner am Neuroimmunologischen Institut der Ludwigs-Maximilians-Universität München berichtet.

Im Herbst 2016 berichteten wir, dass der Synapsenverlust, also der Verlust der Verbindungs- bzw. Kontaktstellen der Nerven in ihrem Verlauf, ein sehr früher und damit ggfls. auch für die Krankheitsentstehung besonders wichtiger Aspekt der progredienten MS ist. In diesem Frühjahr konnten wir dann über die Rolle des Calciums bei der dauerhaften Schädigung der Axone berichten. Beides sind Mechanismen, die möglicherweise zur bisher kaum behandelbaren Nervenzelldegeneration im Verlauf der MS beitragen:

Heute berichten wir über eine Studie, in der sich die Arbeitsgruppe jetzt mit einer bestimmten Gruppe von Entzündungszellen, die diese Nervenzellschädigung auslösen können, beschäftigt hat und die man unter der Überschrift:

Dr. Jekyll und Mr. Hyde – die Rolle der Fresszellen bei der Multiplen Sklerose zusammenfassen kann.

Fresszellen sind wichtige Abwehrzellen des angeborenen Immunsystems. Bei entzündlichen Erkrankungen des zentralen Nervensystems wie der Multiplen Sklerose spielen sie eine zentrale, aber auf den ersten Blick gegensätzliche Rolle: Einerseits fördern sie die Entstehung entzündlicher Herde und damit verbundener Gewebeschäden, andererseits sind sie auch an der Reparatur solcher Läsionen beteiligt und wirken dann entzündungshemmend. Um diesen Widerspruch zu erklären wurde postuliert, dass es unterschiedliche Fresszell-Phänotypen mit unterschiedlichen Funktionen gibt. Wie und wo diese Phänotypen im entzündeten Nervensystem spezifiziert werden, war allerdings bisher unbekannt. Am Institut für Klinische Neuroimmunologie wurde nun das Schicksal einzelner Fresszellen untersucht und nachgewiesen, dass sie ihren Phänotyp, also ihre Erscheinungsform, im Gewebe wechseln können.

Dazu wurden die Fresszellen in einem Mausmodell der Multiplen Sklerose mit einem In-vivo Mikroskopieansatz beobachtet. Durch unterschiedliche fluoreszente Signale wurden unterschiedliche Fresszell-Phänotypen dargestellt. Mit dieser Methode konnte die Identität einzelner Zellen über die Zeit direkt und live verfolgt werden. Die Analysen zeigten, dass während der Entstehung von Läsionen entzündungsfördernde Fresszellen vor Ort sind. Bilden sich die Läsionen wieder zurück, bestimmen dagegen entzündungshemmende Zellen das Bild.

Durch die fortlaufende Beobachtung einzelner Fresszellen konnte dann nachweisen werden, dass dieser Phänotypwechsel nicht – wie aufgrund anderer Modellsysteme vermutet – dadurch zustande kommt, dass ein Phänotyp aus- und der andere einwandert. Stattdessen können sich Fresszellen im zentralen Nervensystem lokal von entzündungsfördernden in entzündungshemmende Zellen verwandeln. In weiterführenden Experimenten konnte zudem gezeigt werden, dass dieser Wechsel durch Signale aus dem zentralen Nervensystem ausgelöst wird, insbesondere durch von sogenannten Astrozyten ausgesandte lösliche Botenstoffe. Durch ein besseres Verständnis der unterschiedlichen Fresszellen-Phänotypen können sowohl die therapeutischen Möglichkeiten als auch die Grenzen zielgerichteter Manipulationen der Fresszellenpopulation besser verstanden werden.

Publikation:

Mononuclear phagocytes locally specify and adapt their phenotype in a multiple sclerosis model

Locatelli G, Theodorou D, Kendirli A, Jordão MJC, Staszewski O, Phulphagar K, Cantuti-Castelvetri L, Dagkalis A, Bessis A, Simons M, Meissner F, Prinz M and Kerschensteiner M.

Nature Neuroscience 21, 1196-1208 (2018)