In unseren früheren Newslettern hatten wir über die Untersuchung der Zwillingskohorte am Neuroimmunologischen Institut der Universität München informiert. Dabei hatten wir darauf hingewiesen, dass der erbliche Anteil der Multiplen Sklerose lediglich ca. 25 % beträgt. Wir kennen inzwischen mehr als 200 verschiedene Genevarianten, die (jeweils zu einem winzigen Anteil) zum Risiko an MS zu erkranken beitragen. Der bei Weitem überwiegende Anteil der Risikofaktoren betrifft jedoch äußere, nicht-genetische Einflüsse. Diese äußeren Risikofaktoren sind nur zu einem sehr geringen Teil wirklich bekannt, wie zum Beispiel der schädliche Einfluss des Rauchens oder ein Mangel an Vitamin D. Eines der ganz wichtigen und hochinteressanten Ergebnisse aus den Untersuchungen dieser genetisch identischen Zwillinge mit unterschiedlichem – diskordantem – Krankheitsverlauf betrifft die Rolle der Darmbakterien. Es zeigte sich nämlich, dass die Besiedelung mit Darmbakterien, die für jeden einzelnen Menschen spezifisch ist und die sich selbst bei eineiigen Zwillingen unterscheidet, offensichtlich die Krankheit mit beeinflusst. In einem Tierexperiment konnte in einer kleinen Gruppe sogar nachgewiesen werden, dass dieser Krankheits-fördernde Einfluss durch Übertragung menschlicher Darmbakterien auf Versuchstiere übertragbar ist.
Als Nächstes stellt die Frage, welche zusätzlichen äußeren Einflüsse auf die Entstehung der Krankheit einwirken, und welche Rolle dabei die Gene spielen. Wie gesagt, besitzen eineiige Zwillinge im Prinzip genau dieselben Gene. Dennoch können eineiige Zwillinge „epigenetische“ Unterschiede in ihren Körpergeweben aufweisen. Dieser Begriff der „Epigenetik“ soll im Folgenden etwas näher erklärt werden.
Die Zellen des menschlichen Körpers beherbergen ihr Erbgut in Form der von den Eltern geerbten Chromosomen. Diese wiederum bestehen aus Strängen von Desoxyribonucleinsäure (DNS). Die Gesamtheit des Erbguts wird als „Genom“ bezeichnet. Aber nur relativ kleine Abschnitte des Genoms (der DNS) fungieren tatsächlich als „Gene“, das heißt, steuern die Produktion der für die jeweilige Zelle spezifischen Eiweißkörper. In verschiedenen Arten von Körperzellen sind jeweils verschiedene Gene an- bzw. abgeschaltet. Der Wissenschaftszweig, der sich mit den Mechanismen dieser An- und Abschaltung von Genen, also sozusagen der „Formatierung des Genoms“ beschäftigt, heißt Epigenetik.
Verschiedene äußere Einflüsse können epigenetische Veränderungen in den Körperzellen bewirken, und somit zur Entstehung von Krankheiten beitragen. Diese epigenetischen Veränderungen bestehen zum Beispiel in einer Veränderung der „Methylierungsmuster“ der DNS der Körperzellen. Die Methylierung besteht im Einbau einer einfachen Kohlenwasserstoff-Verbindung in den DNS-Strang und beeinflusst dessen „An-“ bzw. „Abschaltung“.
Dieser epigenetische Einfluss konnte – und das ist die Botschaft dieses Newsletters – durch in Saarbrücken und München gemeinsam durchgeführte Untersuchungen nun erstmals bei der MS nachgewiesen werden. Von 90 an der Studie teilnehmenden Zwillingen wurde das Methylierungsprofil, also der Einbau von Methylgruppen in die DNS über die Gesamtheit der Gene (Genom) an über 850.000 Positionen untersucht. In den DNS Molekülen der Immunzellen des Blutes fanden sich tatsächlich eine Reihe von Unterschieden zwischen den an MS erkrankten und gesunden Zwillingsgeschwistern. Dabei zeigte sich, dass einige dieser Veränderungen mit der Krankheit assoziiert waren, während andere keinen Bezug zur Krankheit aufwiesen. Interessanterweise konnte zudem beobachtet werden, dass einige epigenetische Veränderungen durch die Gabe von Medikamenten (Interferon, Kortison) verursacht wurden.
Zusammenfassend zeigen diese Ergebnisse erstmals einen Zusammenhang zwischen epigenetischen Mustern, Krankheit und Therapie. Dies ist ein wichtiger Schritt, um die Auslöser der MS, aber auch die Wirkung von Medikamenten in Kurz-und Langzeittherapie besser zu verstehen.
Literatur: DNA methylation signatures of monozygotic twins clinically discordant for multiple sclerosis
Souren NY, et al. Nat Commun 2019. PMID 31064978 Free PMC article.