Newsletter 1/ 2023
In Ergänzung zu unseren früheren Berichten über Rolle der Darmbakterien (Mikrobiota) bei MS bei der Zwillingskohorte der Neuroimmunologie am Klinikum Großhadern informieren wir Sie heute über eine neue Studie eines internationalen Forscherkonsortiums. Es handelt sich dabei um Ergebnisse namens „International MS Microbiome Study (IMSMS)“, an dem auch Mitglieder unseres Fördervereins beteiligt sind. Erste Resultate wurden kürzlich in der angesehenen Fachzeitschrift „Cell“ veröffentlicht (Cell 185, 3467-3486, 2022).
Wie bereits in früheren Newsletters berichtet, verdichten sich die Hinweise, dass bei der MS – wie auch bei anderen Erkrankungen – die individuelle Darmflora, die sogenannte Mikrobiota, entscheidende Bedeutung hat. Unser Darm ist von einer reichhaltigen Bakterienflora besiedelt, deren genaue Zusammensetzung sich von Mensch zu Mensch unterscheidet. Die Darmbakterien sind nicht nur für die Verdauung und den Stoffwechsel zuständig, sondern auch für die Reifung und Funktion des Immunsystems. Kein Wunder also, dass die Mikrobiota bei Autoimmunerkrankungen wie der MS im Zentrum der Forschung stehen.
Eine große Hürde bei der Erforschung des menschlichen Mikrobioms besteht in der gigantischen Vielfalt und Variabilität unserer Darmbakterien. Man benötigt daher eine große Zahl von erkrankten und gesunden „Spendern“, um etwaige MS-typische Veränderungen des Mikrobioms aufzuspüren. Die jetzt veröffentliche Studie der IMSMS ist die bisher bei Weitem größte Untersuchung dieser Art. Insgesamt wurden 1.152 Personen in die Studie aufgenommen, darunter 576 MS Erkrankte aus verschiedenen Ländern und Kontinenten. Mehr als ein Drittel der MS Erkrankten war zum Zeitpunkt der Untersuchung ohne spezielle Therapie. Das ist deswegen wichtig, weil die Therapie mit immunmodulierenden Substanzen die Darmbakterien beeinflussen kann. Eine weitere Besonderheit der Studie besteht in der Auswahl der Kontrollpersonen. Hierfür wurden Personen gewählt, die im selben Haushalt leben. Das bedeutet: für jede an MS erkrankte Person wurde eine weitere, in derselben Wohnung lebende Person, meist also der (Ehe-)partner oder ein anderes Familienmitglied, in die Studie aufgenommen. Durch dieses Vorgehen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass etwaige Unterschiede zwischen den MS Erkrankten und gesunden Kontrollpersonen nicht auf banalen Unterschieden wie der Ernährungs- und Lebensweise (z.B. Rauchen, Alkoholkonsum, etc.) beruhen, sonders tatsächlich etwas mit MS zu tun haben.
Auf diese Weise konnten jetzt tatsächlich erstmals hieb- und stichfeste Unterschiede der Darmflora von MS-Erkrankten im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen ermittelt werden. Einige Bakterienarten waren bei MS vermehrt, andere verringert. Damit einhergehend fanden sich auch Unterschiede im Stoffwechsel zwischen MS und Kontrollpersonen.
Diese Ergebnisse treffen auf großes Interesse, denn sie bilden die Grundlage für ein besseres Verständnis der Krankheitsmechanismen der MS und somit auch für neue Therapieansätze. Im nächsten Schritt gilt es jetzt herauszufinden, welche Bakterienarten das Risiko an MS zu erkranken erhöhen, und welche den Verlauf der MS (die Progression) verschlechtern. Hier weiteres Licht ins Dunkel zu bringen werden auch die neuen Untersuchungen im Rahmen unserer MS-Zwillingsstudie beitragen, über die wir bereits berichtet haben und die aktuell zügig voranschreiten.
Durch Bekämpfung von MS-auslösenden Bakterien lässt sich vielleicht eines Tages sogar der Ausbruch der Erkrankung verhindern. Durch Beeinflussung der Progressions-fördernden Bakterien lässt sich der Krankheitsverlauf verbessern. Beides noch Zukunftsmusik, aber die neue Studie gibt Anlass zu Optimismus.
Die genannten Arbeiten werden vom gemeinnützigen Verein „Therapieforschung für MS-Kranke e.V.“ finanziell subsidiär unterstützt.
Aktuelle Veröffentlichungen:
iMSMS Consortium: Gut microbiome of multipke scleorsis patients and paired household healthy controls reveal associations with disease risk and course. Cell 185, 3467-3486, 2022.
Correale J, Hohlfeld R, Baranzini SE: The role of the gut microbiota in multiple sclerosis. Nature Reviews Neurology 18, 544-558, 2022.