Newsletter Frühjahr 2019

In dem ersten Newsletter unseres Vereins vom Herbst 2017 hatten wir Ihnen über experimentelle Untersuchungen im Labor von Prof. Martin Kerschensteiner am Neuroimmunologischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München berichtet. Dabei ergab sich, dass der Synapsenverlust, also der Verlust der Verbindungs- bzw. Kontaktstellen der Nerven in ihrem Verlauf, für die Krankheitsentstehung der progredienten MS besonders wichtig ist. In der frühen schubförmigen Phase der Multiplen Sklerose kommt es zu einer Schädigung der langen Nervenzellfortsätze, der sogenannten Axone.

Hier konnten neue Untersuchungen der Arbeitsgruppe von Herrn Prof. Kerschensteiner, jetzt zeigen, dass Entzündungszellen durch gefährliche Membranrisse die Schädigung dieser Nervenzellverbindungen auslösen können.

Bei der Autoimmun-Erkrankung Multiple Sklerose hängt das Ausmaß der bleibenden Behinderung entscheidend davon ab, wie viele der langen Nervenzellfortsätze, der sogenannten Axone, zerstört werden. In der aktuellen Studie, die in enger Zusammenarbeit mit Herrn Prof. Misgeld vom Institut für Neuronale Zellbiologie der TU München durchgeführt wurden, konnte im Tiermodell der Multiplen Sklerose ein Mechanismus identifiziert werden, der zum Absterben der Axone führen kann. Verantwortlich ist ein Zustrom von Calcium durch winzige Risse in der Zellmembran.

Bereits in früheren Untersuchungen wurde beobachtet, dass Axone in der Nähe von entzündlichen Läsionen häufig anschwellen und anschließend zugrunde gehen können. Einige Axone erholen sich aber spontan und schwellen wieder ab. Der Prozess ist also grundsätzlich reversibel und könnte daher möglicherweise therapeutisch beeinflusst werden, wenn diese Mechanismen besser verstanden werden. Mithilfe eines in-vivo Mikroskopie-Ansatzes – also einer Untersuchung am lebendem Gewebe – konnte jetzt gezeigt werden, dass das Schicksal der Axone im Tiermodell der MS mit ihrem Kalziumgehalt zusammenhängt: Axone mit einem erhöhten Kalziumspiegel haben ein hohes Risiko anzuschwellen und nur geringe Chancen, sich von dem geschwollenen Zustand wieder zu erholen.

Das überschüssige Kalzium stammt aus dem extrazellulären Raum und dringt durch winzige Risse in der Zellmembran in das Axon ein, wie sich mithilfe eines an ein Makromolekül gekoppelten Fluoreszenzfarbstoffs nachwiesen ließ. Der Farbstoff ist normalerweise zu groß, um in ein intaktes Axon einzudringen. Nur wenn die Membran geschädigt ist, wird der Farbstoff aufgenommen und das Axon angefärbt. Mit Hilfe der in-vivo Mikroskopie konnte weiterhin beobachtet werden, dass die Axone, die den Farbstoff aufnehmen auch einen erhöhten Kalzium Gehalt zeigen. Dass Risse in der Zellmembran auch im entzündeten Nervensystem zum Absterben von Nervenfasern beitragen können, ist eine neue Erkenntnis, die in der Zukunft auch therapeutisch relevant sein könnte. So ist aus Untersuchungen von Rückenmarksverletzungen bekannt, dass Nervenfasern zumindest durch mechanische Verletzungen entstandene Risse wieder heilen können. Deshalb hoffen wir, dass ein besseres Verständnis der Entstehung und Reparatur dieser Risse ein wichtiger Schritt hin zu neuen therapeutischen Angriffszielen sein könnte.

Publikation:
Calcium influx through plasma-membrane nanoruptures drives axon degeneration in a model of multiple sclerosis.
Witte ME, Schumacher AM, Mahler CF, Bewersdorf JP, Lehmitz J, Scheiter A, Sanchez P, Williams PR, Griesbeck O, Naumann R, Misgeld T and Kerschensteiner M
Neuron 101, 615-624 (2019)